„Chettin’3“ und die Kraft von Wort und Musik

Das Alte Wasserwerk jenseits vom Mainstream


 

„Denn sie wissen nicht, was sie tun“, der 1955er Kultfilm thematisierte erstmals die tiefen Gräben in Gesellschaft und Familie der USA des Puritanismus. Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund wurde der Schriftsteller William S. Burroughs, ein Gentleman-Junkie mit Havard-Abschluss, Mitte der 60er-Jahre zum Identifikationssymbol einer Jugendkultur, die sich gegen Krieg, Konsumgesellschaft und konventionelle Lebensformen auflehnte. 1943 lernte er die Schriftsteller Allen Ginsberg und Jack Kerouac in New York kennen, mit denen er die gesellschaftskritische, skandalumwobene „Beat Generation“ verkörperte. Als zeitgenössisch musikalisches Pendant gilt Chet Baker, der zwar als einer der größten Romantiker des Jazz verklärt wurde, aber ein von Drogenexzessen zerstörtes, ganz und gar nicht romantisches Leben führte.

 

Schwere Kost für den Jazz & Lyrik-Abend im Alten Wasserwerk? Absolut nicht, denn der Abend stellte quasi die perfekte Symbiose von Jazz und Lyrik dar und bewies, welche Schönheit zum einen und welcher Druck zum anderen von Wort und Musik ausgehen können. Tilman Thiemigs Rezitationen waren von einer phänomenalen lautmalerischen Intensität und bedienten sich aller Register des klassischen und neuen Theaters. Damit eröffneten sich dem Zuhörer Fantasieräume, die ihn Raum und Zeit vergessen ließen und mit Gedanken einer Zeit konfrontierten, die auch in einer Spaßgesellschaft aktuell sein könnten.

 

Auch der legendäre Chet Baker hat von seiner Faszinationskraft bis heute nichts verloren, und wie hochaktuell seine Musik und Song-Interpretationen noch immer sind, stellte „Chettin’3“ aus Braunschweig im Alten Wasserwerk unter Beweis. Es war spannend, Stück für Stück zu lauschen und zu erleben, wie es dem Trio gelang, der atmosphärischen Schönheit der Originale auch auf dieser Bühne Raum zu verschaffen. An der Chet Baker-typischen Aura von zarter Melancholie war naturgemäß Walter Kuhlgatz mit seinem lyrischen Ton auf Trompete und Flügelhorn sowie seiner verhaltenen Stimme verantwortlich. Elmar Vibrans und Heinrich Römisch boten ihm ein eingespieltes und sicheres Fundament und rundeten mit ihren meisterlichen Soli den Abend zu einem beeindruckenden Erlebnis ab.

 

Text und Foto: Hans-Jürgen Niemann